Unser Interviewpartner Hennes Heiser ist für uns schon ein bekanntes Gesicht: Bereits vor zwei Jahren sprachen wir mit ihm über das Thema Diversität. Die Besonderheit? Damals haben wir ihn noch weiblich gelesen. Heute identifiziert sich der Kieler als trans* und erzählt uns von den Herausforderungen, aber auch der neu gewonnen Selbstliebe, die mit seiner Transition einhergehen.
Das Interview führte Finja Thiede
FIETE: Lieber Hennes, wie hast du gemerkt, dass deine Reise zu deinem wahren Ich zum Zeitpunkt unseres letzten Treffens doch noch nicht ganz abgeschlossen war?
Hennes: Da war vor allem dieses Gefühl der Dysphorie. Als hätte ich einen Ganzkörperanzug an, der überall zwickt und viel zu eng ist; die Geschlechtsmerkmale dabei gut zu erkennen. Man versucht, diesen hautengen Anzug auszuziehen, aber es klappt einfach nicht. Er sticht so sehr aus der gesellschaftlichen Norm heraus, dass man von 80 Prozent der Leute angestarrt wird. Ich habe mir diesen Anzug nie ausgesucht und wollte ihn loswerden, um endlich frei zu sein.
Wie hat sich dein Leben verändert, seitdem du das erste Mal ausgesprochen hast, dass du Hennes bist?
Vorher war ich von Angst und Erniedrigung geplagt, das Wort „Transgeschlechtlichkeit“ hätte ich im damaligen Kontext niemals ohne Schamgefühl äußern können. Der Weg aus diesem schweren Ballast war nervenaufreibend, emotional und schmerzhaft – ich habe eine Vielzahl an Therapiestunden nehmen müssen, unfassbar viel Papierkram für die Kostenübernahme der Operationen erledigt und weite Krankenhauswege, viele Schmerzen und Ängste durchlebt. Gleichzeitig war es der wichtigste Schritt, den ich hätte gehen können, denn heute spüre ich endlich zum Großteil ein gesundes Körpergefühl. Ich bin unfassbar dankbar für meine Willenskraft.
Stichwort Operationen: Welche Rolle spielten operative Eingriffe für dich?
Kurz vor der Mastektomie war ich an einem extremen Tiefpunkt – ich habe meinen Körper kaum ertragen. Am liebsten hätte ich die ungewollten, falschen Körperteile runtergerissen wie schmutzige Kleidung. Die Mastektomie (Entfernung der Brustdrüse) und totale Hysterektomie (Entfernung der Gebärmutter) haben mir ein freies Leben geschenkt. Mittlerweile schaue ich mich mit vollem Stolz an
und weiß, dass es die wichtigste Entscheidung meines Lebens war, diese Operationen durchführen zu lassen. Welche Herausforderungen hast du auf dem Weg der Transition bewältigen müssen? Ich habe viel Alltagsdiskriminierung erlebt, wurde auf offener Straße beleidigt oder bespuckt. Überwiegend haben mich eher männlich gelesene Personen verbal erniedrigen wollen oder als „Zwitter“ bezeichnet.
Wie hat sich dein Verhältnis zu deinem Körper im Laufe der Zeit verändert?
Seitdem ich Testosteron bekomme, eine männliche Brust und keine Gebärmutter mehr habe, achte ich nicht mehr darauf, wie mein Körper auf andere Personen wirkt. Ich spüre keine „angewiderten“ oder erstaunten Blicke mehr auf öffentlicher Straße und fühle mich endlich zu Hause, zufrieden, glückselig, attraktiv und selbstbestimmt.
Hat sich etwas in der Wahrnehmung anderer geändert, seitdem du eher männlich gelesen wirst?
Ja, viel! Seit Beginn meiner Transition Ende August 2023 bemerke ich regelmäßig, wie viel Akzeptanz ich allein durch den Bart von männlich gelesenen Personen zugesprochen bekomme. Jetzt als Mann erfahre ich deutlich mehr Zuspruch statt Ablehnung.
Was bedeutet für dich Selbstverwirklichung?
Selbstverwirklichung ist meiner Meinung nach der Schlüssel zum Leben. Ich erkläre es gerne mit einer Metapher: Sich selbst zu finden und zu verwirklichen fühlt sich an, als würde man sein glücklichstes Gefühl, dass man je gefühlt hat, als Mahlzeit zu sich nehmen können. Alle Zutaten sind harmonisch miteinander und bilden einen unersetzbaren Geschmack.
Denkst du, dass es eine allgemeine gesellschaftliche Erwartungshaltung an trans* Menschen gibt?
Ja, ich habe das Gefühl, dass sich trans* Personen möglichst zurückziehen sollen – genau deshalb hat mein persönliches Outing sehr lange gedauert. Ich hatte Angst, dass dieser „Transstempel“ auf mir haftet. Schließlich ist die Gesellschaft darauf ausgelegt, als binäres Geschlechtssystem zu funktionieren, in dem es nur männlich und weiblich gibt.
Wie schwer ist es dir gefallen, deinen Platz in dieser Geschlechterbinarität zu finden?
Sehr schwer! Vorletztes Jahr wollte ich im Fitnessstudio auf die Toilette – nur welche? Ich bin aus Wohlbefinden lieber zu den Damen, da ich dort in der Vergangenheit weniger Diskriminierung erfahren hatte. Daraufhin wurde ich jedoch vom Studioleiter angesprochen, dass sich die Damen dort
von meiner Anwesenheit belästigt fühlen würden. Das war ein schlimmes Gefühl, denn ich stehe stark für Frauenrechte und antidiskriminierendes Verhalten ein. Optisch noch zu weiblich für die Herrenumkleide, bereits zu männlich für die Damenumkleide – ich habe mich sehr ausgeschlossen gefühlt.
Letztes Jahr wurde endlich das Selbstbestimmungsgesetz verabschiedet – ein großer Meilenstein für trans* Personen. Was für Chancen bietet dir das Gesetz?
Ich hatte zum Beispiel im vergangenen Oktober endlich die Möglichkeit, einen Termin für die Ausstellung meines neuen Personalausweises zu vereinbaren. Mein alter Perso führte immer wieder zu Verwirrung, denn mein Deadname und das Geschlecht „weiblich“ passten nicht zu meiner Optik. Ich bin überglücklich, mich nun offiziell als Hennes männlich ausweisen zu können.
Was sind deine Gedanken zu den steigenden Wahlergebnissen der rechten Parteien?
Die rechte Welle macht mir Angst, da ich eine riesige Gefahr für die queere Community spüre.
Meine Bitte an alle: Informiert euch über die Wahlprogramme. Jede Partei hat ein bis zwei Punkte, mit denen man nicht ganz konform geht, die aber dennoch vertretbar sind. Ein großes No-Go ist es jedoch, für menschenrechtsfeindliche Wahlprogramme zu stimmen. Eure Wahlstimme hat so viel Macht und kann Menschen das Leben retten oder aber stark erschweren.
Was kann die Gesellschaft tun, um eine sicherere und inklusivere Umgebung für queere Menschen zu schaffen?
Seid umsichtiger und respektvoller im Miteinander und engagiert euch auf öffentlichen Demos, die für Queerness stehen. Besonders Allys sind wichtig, um den heteronormativen Teil der Gesellschaft anzusprechen und einzuladen, an derartigen Veranstaltungen teilzunehmen.
Was würdest du trans* Personen mit auf den Weg geben, denen der Weg der Transition noch bevorsteht?
Hört auf euer Herz und darauf, was ihr selbst wollt. Ihr habt nur dieses eine Leben – es ist viel
zu kostbar, um es für andere Menschen zu leben.
Wer sich über das Thema trans-Sein informieren möchte, darf Hennes gerne auf Instagram folgen. Auf seinem Kanal @iam_hennes teilt er Alltagseindrücke und ist offen für konstruktive Fragen, um seinen Followerinnen Unsicherheiten und Ängste zu nehmen. Weitere Aufklärungsangebote gibt es zudem im HAKI-Zentrum in Kiel.