Interview zu Diversität: Ich werd‘ gern einfach als „Dilara“ angesprochen

Oder: Being non-binary

Dilara Heiser ist 24 Jahre alt, macht eine Ausbildung zur Erzieherin, möchte danach vielleicht Soziale Arbeit studieren und ist nicht-binär. Wir haben sie gefragt, was das für ihr Leben bedeutet.

FIETE: Das Wichtigste zuerst: Wie lauten deine Pronomen? 

Dilara: Ich möchte mit dem Pronomen „sie“ angesprochen werden. Derzeit befinde ich mich in einer Findungsphase, dennoch ist mein Pronomen für mich klar, auch wenn ich mich nicht biologisch als Frau fühle. Ich sehe mich mit dem Pronomen „sie“ nicht als Frau, wodurch es kein Problem für mich darstellt, so angesprochen zu werden. Ich fühle mich auch wohl dabei, wenn ich einfach als „Dilara“ angesprochen werde. In meiner Wahrnehmung dienen Pronomen dazu, Menschen die Möglichkeit zu bieten, sich gesellschaftlich einordnen zu können, wobei es uns doch als Menschen überhaupt nicht ausmacht. Ich bräuchte theoretisch gar kein Pronomen. Mein Name reicht mir auch.

Ich bräuchte theoretisch gar kein Pronomen. Mein Name reicht mir auch.


Im Englischen wird oftmals they/them für nicht-binäre Menschen verwendet. Was wäre das deutsche Äquivalent dazu?

Ich finde die deutsche Variante des 3. Geschlechts „divers“ besser, da es die Individualität offen hält: Diversität hält die Individualität der einzelnen Personen offen. 

Wie definierst du nicht-binär? 

Ich selbst definiere das „nicht-binär-Sein“, wie eine Wolke, die nicht greifbar ist. Wie ein Farbtopf mit vielen verschiedenen Farben, aus dem man sich nicht nur für eine Farbe entscheiden will. Ich glaube, dass sich mehr Personen „nicht-binär“ fühlen, als es scheint. Ich möchte jeder Person den Mut machen, zu der eigenen Identität zu stehen, weil es endlich die Freiheit bietet zu verstehen, wer man ist – und vielleicht sein möchte.

Wie gehst du damit um, wenn du misgendert wirst?

Ich werde oft mit dem Pronomen „er“ oder mit „junger Mann“ angesprochen. Außerdem wurde mir schon gesagt „Was für ein hübsches Mädchen ich doch sei“ und dass ich gar nicht so aussehen müsse, wie ich es aktuell tue und gefragt, wieso ich das tue. Sofern genügend Zeit da ist, kläre ich die Menschen gerne auf und versuche zu beschreiben, dass es eben nicht IHR Bild von mir ist, sondern ich so bin, wie ich bin. Ich nehme es unaufgeklärten Personen nicht übel, da meist Unwissenheit dahinter steckt. Daher ist Sensibilisierung ein wichtiger Punkt: Was muss ich überhaupt bei meinem Gegenüber ansprechen und wann ist es vielleicht ratsam, weniger zu sagen? In Alltagssituationen wie beim Bäcker oder im Supermarkt ist der zeitliche Rahmen für eine Erklärung nicht gegeben, da nehme ich es einfach hin. 

Was rätst du im Umgang mit Geschlechter-identität?

Ich möchte raten, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen und nicht nur die optische Erscheinung als Maßstab zu nutzen. Viele Personen können optisch einer gesellschaftlichen Rolle zugeordnet werden, dennoch weiß man nicht, ob sie sich auch so fühlen. Ich möchte Personen kein „Label“ aufdrücken, dessen sie sich möglicherweise nicht zugehörig fühlen. Die Gesellschaft braucht Personen, die Aufklärung betreiben, um dem Thema „Gender“ endlich den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Hast du vor, deinen Namen zu ändern?

Aktuell nicht. Das liegt auch daran, dass der Weg bis zur Namensänderung lang ist und mit vielen psychologischen Gesprächen zusammenhängt. Bis alles durch ist, können Monate bis Jahre vergehen. Außerdem ist eine Namensänderung teuer. Ich wünsche allen, die ihren Namen ändern wollen – weil sie ihren „Deadname“(gebürtiger Name) nicht mehr ertragen – die Freiheit, ihren Namen einfach und unkompliziert ändern zu können.

Welchen Umgang wünschst du dir mit deiner Nicht-Binärität?

Ich wünsche mir mehr Sensibilität. Ich wünsche mir, dass man nicht in eine Schublade gesteckt wird. Oft habe ich das Gefühl, dass Menschen mich nicht einordnen können, was sie verunsichert und dann wird auf Krampf versucht, eine Lösung zu finden, indem sie mir ein Label aufdrücken. Es kann soviel einfacher sein, wenn ich als Mensch gesehen werde, als Dilara. Wieso muss ich ein „junger Herr“ oder ein „hübsches Mädchen“ sein? Dilara ist ein Mensch mit einer individuellen Erscheinung.

Es kann soviel einfacher sein, wenn ich als Mensch gesehen werde, als Dilara.


Wann und wie hast du gemerkt, dass du nicht-binär bist?

Ich habe mich oft in meiner Kindheit und Jugend in der Mitte gefühlt, sozusagen im „Dazwischen.“ Ich hatte selten das Gefühl, genau zu wissen, was ich für Kleidung tragen möchte oder ob ich mit den Jungs oder Mädchen spielen soll, mit Barbies oder Autos. Die Rollenbilder habe ich nicht verstanden, wollte mich nicht anpassen. Ich hatte das Glück, dass ich eine Clique hatte und habe, bei der ich komplett frei ausleben konnte, was ich fühlte. Der Höhepunkt war 2020 das Kennenlernen meiner aktuellen Partnerin Anne. Sie hat mir dabei geholfen, mich endlich zu verstehen, anhand von Begrifflichkeiten wie „nicht-binär“ oder auch „nicht-binär-trans-maskulin“. Ich habe mich vorher einfach als „lesbisch“ bezeichnet, aber meine Genderidentität habe ich nicht wahrgenommen. 

In welchem Alter hast du dich gegenüber deinem sozialen Umfeld als nicht-binär geoutet? 

Ich habe mich mit 12 Jahren als lesbisch bei meiner Mutter geoutet. Sie ging offen damit um, hat es akzeptiert, toleriert und angenommen. Sie hat sich dennoch Vorwürfe gemacht, da sie mir oft „Jungskleidung“ mitbrachte. Ich versicherte ihr, dass es nicht an ihr lag, sondern einfach meine Personalität ist. Die sexuelle Orientierung ist vielfältig und unabhängig davon, was ich im Kindesalter oder in meiner Jugend erlebt habe. Entweder du spürst diese Neigung oder du spürst sie nicht. Personen fragen mich auch gern, wie es sich anfühlt, auf Frauen zu stehen. Ich gebe gern zurück, dass es sich vermutlich genauso anfühlt wie bei der Person, die gefragt hat. Ein richtiges Outing als nicht-binär gab es nicht. Ich habe vor circa einem Jahr meinen Freund*innen erzählt, dass ich mein Geschlecht weder zuordnen noch festlegen möchte. Meine beste Freundin war stolz auf mich, ebenso meine Partnerin: Sie hielt mein Gesicht, küsste mich und sagte, dass sie stolz auf mich sei, dass ich zu mir stehe. Mir kamen die Tränen in beiden Momenten, da ich die Reaktionen nicht als selbstverständlich empfinde. Auch die anderen Personen in meinem Umfeld reagierten positiv. Meine Mutter beispielsweise hat zunächst die Begrifflichkeiten nicht ganz verstanden. Ich habe ihr diese erklärt, danach hat es „Klick“ gemacht und dann folgte positive Resonanz.

Die sexuelle Orientierung ist vielfältig und unabhängig davon, was ich im Kindesalter oder in meiner Jugend erlebt habe.

Was für Erfahrungen hast du bisher mit deinem Coming-out gemacht?

Ich habe ausschließlich positive Erfahrungen gemacht, weiß aber von anderen, dass es auch viele Schattenseiten gibt. Ich frage mich hier auch, weshalb sich eine „nicht-binäre“ Person überhaupt outen muss. Müsste ich mich denn auch outen, wenn ich „cis“ wäre? 

Begegnet dir Diskriminierung im Alltag?

Diskriminierung ist definitiv alltäglich. Wenn Personen mich wahrnehmen, ich im Bus sitze, tanken bin oder im Supermarkt einkaufe, passiert es: Ich werde oft gemustert, ab und zu auch verbal abfällig diskriminiert. Dann heißt es auf einmal „Junge oder Mädchen?“ oder „Was willst du überhaupt sein?“ oder „Wieso siehst du so aus? Du bist doch eine Frau!“ Ich habe mich daran gewöhnt und eine harte Schale aus Selbstbewusstsein aufgebaut. Ich habe schon früh gelernt, zu mir zu stehen und mein Leben nicht von anderen bestimmen zu lassen. Außerdem habe ich das Privileg, ein unglaublich liebevolles und wertschätzendes soziales Umfeld zu haben. Dieses Privileg hat nicht jede queere Person, daher kann ich immer wieder dazu raten, sich bloß nicht auf diese diskriminierenden Aussagen einzulassen oder an sich zu zweifeln. Passt auf euch auf!

Würdest du sagen, dass die Identifikation bei nicht-binär fluid ist?

Definitiv. Ich fühle mich sehr fluid. Das äußert sich auch körperlich, denn ich kann mich zwar mit meiner weiblichen Brust nicht identifizieren, wohl aber mit meinem weiblichen Genitalbereich. Zudem ist meine Persönlichkeit sehr fluid. Ich könnte nicht sagen, dass ich mich überwiegend männlich oder weiblich verhalte. Ich verhalte mich individuell und der Situation entsprechend.

Was glaubst du, warum wehren sich noch so viele Menschen gegen Geschlechtsidentitäten jenseits von männlich und weiblich?

Menschen scheuen sich vor Neuem, weil es ihnen Angst macht und Angst Gefahren birgt. Es ist umso wichtiger, unaufgeklärten Menschen die Möglichkeit zu bieten, sich zu informieren. Dafür muss natürlich auch die nötige Bereitschaft beider Seiten da sein. Menschen müssen sich zum einen bereit erklären, sich die Zeit zu nehmen, um aufzuklären und andererseits die Aufklärung auch anzunehmen und umzusetzen. Ich glaube, dass es eine Bereicherung ist, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen, um sich selbst weiterzuentwickeln. 

Hast du einen Tipp für alle, die nicht genau wissen, wie sie auf deine geschlechtliche Identität reagieren sollen?

Jede Person kann mich fragen, mit welchem Pronomen ich angesprochen werden möchte. Und sonst? Einfach mit meinem Namen ansprechen. In meiner Wahrnehmung ist es viel kritischer, wenn ich mir anmaße, eine Person so anzusprechen, wie ich es möchte, als vielleicht einfach den Mut zu haben, nachzufragen. Nachfragen zeugt von der Bereitschaft, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen und einer Offenheit für das Gegenüber.

„Lasst uns anfangen, sensibler unseren Mitmenschen gegenüber zu werden.


Was müsste sich deiner Meinung nach in unserer Gesellschaft ändern, damit queere Menschen sicher leben können?

Die verbalen und körperlichen Übergriffe gegenüber queeren Menschen müssen endlich aufhören! Ebenso die Sexualisierung/ Fetischisierung gegenüber lesbischen, schwulen und trans*sexuellen Menschen. Ich bekomme täglich über Instagram oder andere Medien Berichte mit, in denen sich oft „cis Männer“ Übergriffe gegen queere Menschen erlauben. Solange queere Menschen als Objekt oder Teil eines „verbotenen“ Fetischs gesehen werden und keine Normalisierung eintritt, wird es weiterhin Übergriffe geben. Ich kann allen queeren Personen raten, sich in queeren Treffs aufzuhalten und besonders aufzupassen, wenn sie allein unterwegs sind. Bildet eine Community und beschützt euch. Die Worte Wertschätzung, Zusammenhalt, Liebe und Zuvorkommenheit scheint ein Problem der Gesellschaft zu sein. Natürlich gibt es auch viele, die sich engagieren. Ich möchte gerne Teil davon sein, einen Anreiz schaffen, sich Gedanken zu machen, wie man durch den Alltag geht und ob es nötig ist, andere Personen verbal oder körperlich anzumaßen, anzugreifen oder einordnen zu müssen. Lasst uns anfangen, sensibler unseren Mitmenschen gegenüber zu werden.

Das Interview führten
Ramona Dabringer & Finja Thiede